Was brauche ich wirklich?

Es herrscht Hochsaison bei Entrümpelung-Gurus wie Marie Kondo. Sie zeigen uns, wie es geht, mit leichtem Gepäck durchs Leben zu gehen. Woher kommt die Sehnsucht nach Minimalismus?

Eine Frau mistet ihren Schrank aus
© Adobe Stock | New Africa

„Die Dinge, die du besitzt, besitzen am Ende dich.“ Was wie eine fernöstliche Weisheit klingt, ist ein Satz, den Brad Pitt 1999 in seiner Rolle als Tyler Durden im Film „Fight Club“ sagt. Ein Appell für weniger Konsum und mehr Minimalismus, der zwanzig Jahre später aktueller ist denn je. Dinge ausmisten und reduziert leben, liegt im Trend.  Warum gerade jetzt?

Laut Expert:innen ist das „Weniger-ist-mehr-Phänomen“ nicht ganz neu, es wurzelt in bekannten Mustern. Neu ist allerdings, dass jetzt eine breite Masse viele Dinge hat und haben kann. „Wir besitzen mehr einzelne Dinge als je zuvor, weil vieles auch billiger und leichter erhältlich ist als je zuvor. Besonders deutliches wird das bei Kleidung. Ein T-Shirt muss nicht mehr kosten als ein Latte Macchiato und die Frequenz, mit der neue Modelle in die Läden kommen, war noch nie so hoch“, erklärt Besitz-Forscherin Bernadette Kamleitner.

Die Sache mit den Sachen

Rund 10.000 Dinge nennt der Mitteleuropäer:innen durchschnittlich sein eigen. Im Alltag mag das gar nicht groß auffallen, spätestens dann, wenn der Übersiedlungswagen vor der Türe steht und das Kistenpacken einfach kein Ende nimmt, heißt es oft notgedrungen „Ballast abwerfen!“

Die Entscheidung, sich bewusst vom Übergepäck zu befreien oder auf kleinem Raum zu leben, kann unterschiedliche Beweggründe haben. Für Kamleitner sind das „Umweltbewusstsein, die Sorge für zukünftige Generationen, Freiheitsliebe und der Wunsch nach größtmöglicher Flexibilität“. Wer weniger hat, kann etwa auch schneller umziehen. Entlastung und Vereinfachung sind weitere Motive. Und manchmal, so die Expertin weiter, ginge es auch um den Wunsch nach sozialer Anerkennung dafür, dass man es schafft mit weniger auszukommen als die meisten. 

Es steht 1:1 

Wenn es um Minimalismus geht, fallen einige paradoxe Phänomene auf: 

  • Besitz bringt Sicherheit, zu viel macht allerdings unglücklich

  • Generell ist Besitz für uns Menschen wichtig. „Der Mensch ist nicht zuletzt deshalb an der Spitze der Nahrungskette, weil er Dinge besitzt und diese auch zu benutzen versteht,“ erklärt Kamleitner. Zwei Beispiele verdeutlichen das: Dadurch, dass wir Werkzeuge besitzen, können wir Bäume fällen und Steine spalten – ein Ding der Unmöglichkeit, hätten wir nur unsere bloßen Hände. Durch den Besitz eines Smartphones können wir mit Menschen kommunizieren, die Tausende Kilometer von uns entfernt sind – ein Ding der Unmöglichkeit, hätten wir nur unsere bloße Stimme. „Kurz der Mensch strebt deshalb nach Besitz, weil Besitz uns Sicherheit geben kann. Der Trend zum Minimalismus ist daher immer nur als Wunsch nach Reduktion zu verstehen, kein Wunsch nach vollständigem Verzicht“, so die Expertin. 

Die Qual der Wahl

„Paradox of Choice“ (auf Deutsch: Wahlparadoxon), heißt das in der Fachsprache der Psychologie. Zu viele Wahlmöglichkeit vermitteln keineswegs ein Gefühl von Freiheit, sondern ganz im Gegenteil, die Palette an Möglichkeiten kann uns ganz schön lähmen und schließlich extrem unglücklich machen. Überdruss vom Überfluss. Dieses Gefühl kennt jeder, der schon mal im Supermarkt zehn Minuten vor dem Regal verbracht hat und sich nicht für einen von den zwölf angebotenen Schokoriegeln entscheiden konnte.

  • Die Rolle der Medien

  • Die Digitalisierung erlaubt uns, 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche zu shoppen und auch zu sehen, was man alles haben könnte. Damit beflügeln vor allem die Neuen Medien das Grundproblem und tragen zu einem Zuviel bei. „Auf der anderen Seite begünstigen jegliche Medien durch entsprechende Beiträge (z.B. Nachhaltigkeitsdebatten, how to‘s wie bei Marie Kondo) auch jene gesellschaftlichen Trends, die den Wunsch zu verzichten fördern. Es kommt auf die Botschaft an, nicht auf das Medium“, resümiert Besitzforscherin Kamleitner.

 

  • Neue Symbole der Freiheit

    Hat das Auto als Symbol der Freiheit ausgedient? Jein, denn in digitalen Zeiten ist Flexibilität Trumpf. Besitzgüter, die an einen Ort gebunden sind, brauchen Platz und Kraft, um bewegt zu werden, und bedeuten Verantwortung. Das wird laut Kamleitner immer häufiger als Belastung wahrgenommen, da es Verlust von Freiheit und Wahlmöglichkeiten bedeutet. 

    Zur Person
    Bernadette Kamleitner ist Leiterin des Instituts für Marketing und Konsumentenforschung an der WU, Wien. International bekannt ist Prof. Kamleitner vor allem für ihre Expertise im Bereich der Besitzforschung. 

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