Telemedizin: Wie der virtuelle Arztbesuch die Gesundheit verbessert
Die Digitalisierung verändert unser Gesundheitswesen nach und nach grundlegend. Einer der sichtbarsten Treiber dieser Veränderung ist wohl Telemedizin.
18.11.2025 · COPE · 4 Min. Lesezeit
Unter Telemedizin versteht man u.a. die medizinische Betreuung von Patient:innen mithilfe digitaler Technologien. Statt im Wartezimmer zu sitzen, erfolgt das Gespräch per Video, Telefon oder Chat. Auch das Übermitteln von Befunden, Rezepten oder Vitaldaten kann digital geschehen. Ziel ist es, den persönlichen Arztbesuch zu ergänzen und medizinische Versorgung flexibler,schneller und zugänglicher zu machen.
Telemedizin steht damit sinnbildlich für das Motto „Gesundheit neu gedacht“. Spätestens seit der COVID-19-Pandemie ist sie in Österreich deutlich gewachsen. „Die Pandemie war hier ein echter Wendepunkt“, sagt Priv.-Doz. Dr. Eva Hilger, ärztliche Leiterin der UNIQA Krankenversicherung. „Sie hat die Integration digitaler Lösungen stark beschleunigt und Telemedizin ins öffentliche Bewusstsein gerückt.“ Heute zeigten sich viele Österreicher:innen offener für digitale Gesundheitsangebote, von elektronischen Rezepten bis hin zu Video-Konsultationen. Dennoch, so Hilger, „gibt es im Vergleich zu anderen EU-Ländern noch Luft nach oben“.
Digitale Ergänzung statt Ersatz des Arztbesuchs
Telemedizin ersetzt den Arztbesuch nicht völlig, aber sie ergänzt ihn sinnvoll. „Die größten Vorteile sehe ich in vier Bereichen“, erklärt Hilger: „Bei leichten akuten Beschwerden wie einem grippalen Infekt, wo eine schnelle ärztliche Einschätzung ohne Praxisbesuch genügt, beim Monitoring und bei der Nachbetreuung chronischer Erkrankungen, bei Folgerezepten und Routineanliegen, die keine körperliche Untersuchung erfordern und schließlich für Menschen in ländlichen Regionen oder mit eingeschränkter Mobilität.“
Österreich hat zwar eine der höchsten Ärztedichten Europas, doch der Anteil der Allgemeinmediziner:innen ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen und hier könnte die Telemedizin eine Brücke schlagen. „Gerade in Regionen mit niedriger Ärztedichte kann sie helfen, die Versorgung aufrechtzuerhalten“, erklärt Hilger.
Schnelle Hilfe am Wochenende, digitale Folgerezepte und einfache Organisation, das sind für viele die größten Pluspunkte bei Telemedizin. „Das Ziel ist, einen niederschwelligen und raschen Zugang zu Allgemeinmediziner:innen ermöglichen“, erläutert Hilger. Das entlastet Notaufnahmen und gibt Patient:innen Sicherheit, wenn sie unsicher sind, ob ihre Beschwerden ernst sind. Folgeverschreibungen sind besonders bei chronischen Erkrankungen eine Erleichterung. Hinzu kommen Zeit- und Wegersparnis: keine Anfahrt, keine Parkplatzsuche, keine Wartezeiten – gerade für Berufstätige, Familien und Menschen mit eingeschränkter Mobilität ein spürbarer Vorteil. „Diese praktischen Vorteile sind es, die zeigen, wie Telemedizin den Alltag vereinfachen kann.“
Telemedizin und digitale Prävention – mehr Eigenverantwortung im Alltag
Ein weiterer Vorteil: Telemedizin stärkt die Eigenverantwortung. Besonders chronisch Erkrankte profitierten davon, ihre Werte im Blick zu behalten und aktiv in ihre Behandlung eingebunden zu sein. „Durch die direktere und häufigere Befassung mit der eigenen Gesundheit, sei es durch regelmäßige Check-ins, das Monitoring von Werten oder die unkomplizierte Kommunikation mit Ärzt:innen, entwickeln viele Patient:innen ein stärkeres Bewusstsein für ihren Gesundheitszustand“, so Hilger.
Auch die niederschwellige Erreichbarkeit spiele eine Rolle: „Menschen melden sich früher, wenn etwas nicht stimmt, und das kann im Einzelfall entscheidend sein.“ So tragen digitale Angebote dazu bei, dass medizinische Hilfe schneller und gezielter ankommt.
Menschliche Nähe trotz digitaler Arztgespräche
Neben vielen Vorteilen gibt es auch Kritik zu dieser Entwicklung. Nicht alle Menschen haben die technischen Möglichkeiten für eine Videokonsultation und viele befürchten, dass der persönliche Kontakt auf der Strecke bleibt, wenn das Arztgespräch über den Bildschirm stattfindet. Hilger sieht das differenzierter: „Technologie muss kein Gegenspieler von Empathie sein, vor allem dann nicht, wenn sie durchdacht gestaltet und gut in ein therapeutisches Gesamtkonzept integriert wird.“
Tatsächlich hängt viel davon ab, wie Ärzt:innen digitale Kommunikation nutzen. Aufmerksames Zuhören und klare Erklärungen können auch virtuell Nähe schaffen. „Es geht nicht darum, Standards zu senken“, betont Hilger, „sondern sie für das digitale Zeitalter neu zu denken.“ Digitale Medizin muss denselben Anspruch an Qualität, Einfühlungsvermögen und Vertrauen erfüllen wie jede persönliche Begegnung. Wenn das gelingt, kann Telemedizin sogar neue Formen von Verbindlichkeit und Kontinuität schaffen.
Telemedizin für Jung und Alt
Jede Altersgruppe profitiert dabei auf unterschiedliche Art und Weise von Telemedizin. Junge Menschen nutzen Telemedizin, um Studium, Beruf und Gesundheit flexibel zu verbinden. Familien schätzen die unkomplizierte Beratung bei Routinethemen oder Kinderkrankheiten. Und ältere Menschen? „Bei ihnen ist es vielschichtiger“, sagt Hilger. Einerseits biete die virtuelle Konsultation Schutz vor Ansteckungsrisiken und Unterstützung bei eingeschränkter Mobilität. Andererseits bleibe die digitale Kompetenz oft eine Hürde. „Die Herausforderung der Zukunft liegt darin, durch gezielte Maßnahmen die digitale Kompetenz aller Altersgruppen zu verbessern.“
Voraussetzungen: Telemedizin in der Standardversorgung
Damit Telemedizin ihren Platz in der Standardversorgung fest einnimmt, sieht Hilger drei zentrale Aufgaben:
Es braucht stabile rechtliche Rahmenbedingungen: Die über die befristeten Pandemie-Regelungen hinausgehen und faire Bedingungen sowohl für Ärzt:innen als auch Patient:innen schaffen.
Eine bessere digitale Infrastruktur und Vernetzung: Die verschiedenen Systeme im Gesundheitswesen müssen miteinander kommunizieren können, damit Informationen sicher, schnell und nahtlos ausgetauscht werden.
Die digitale Kompetenz muss auf beiden Seiten gestärkt werden: Ärzt:innen brauchen Schulungen im Umgang mit virtuellen Kommunikationsplattformen und digitaler Empathie, während Patient:innen Unterstützung benötigen, um digitale Gesundheitsdienste sicher und selbstbewusst nutzen zu können.
„Wenn wir diese drei Punkte angehen, kann Telemedizin ihr volles Potenzial entfalten“, ist sich Hilger sicher. Dann wird Telemedizin in Österreich zu einem selbstverständlichen Bestandteil einer effizienten, zugänglichen und nachhaltigen Gesundheitsversorgung.
Priv.-Doz. Dr. Eva Hilger ist seit 1.7.2025 ärztliche Leiterin der UNIQA Krankenversicherung. Die habilitierte Fachärztin für Neurologie bringt klinische und wissenschaftliche Erfahrung aus ihrer mehr als 20-jährigen Tätigkeit an der Wiener Universitätsklinik mit, aber auch Erfahrung aus ihrer Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitswesen, wo sie im Management eines Sozialversicherungsträgers tätig war.
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