Digital Health leistet wichtigen Beitrag zur Weltgesundheit

Buchautor Dr. Elgar Fleisch über die Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Ärztin am Laptop daneben Stethoskop
©Adobe Stock 

Das Gesundheitssystem von morgen steht vor vielen Herausforderungen. Für deren Lösungen gewinnt Digital Health eine immer wichtigere Rolle. Elgar Fleisch, Professor für Informations- und Technologiemanagement und UNIQA Aufsichtsrat, hat zu diesem Thema das Buch „Die digitale Pille“ geschrieben. Anlässlich des Weltgesundheitstags am 7. April spricht er über die Chancen sowie die Bedeutung der Digitalisierung für ein faireres Gesundheitswesen.

elgar fleisch porträt

UNIQA Aufsichtsrat
Dr. Elgar Fleisch

©Giulia Marthaler


Welche sind die größten Herausforderungen für das globale sowie das österreichische Gesundheitswesen?

Elgar Fleisch: Unser Gesundheitssystem ist eine riesige Erfolgsgeschichte. Antibiotika, Impfungen und Chirurgie zählen zu den wesentlichen Gründen, warum wir heute doppelt so alt werden wie vor 100 Jahren. Allerdings wurde es für akute Krankheiten gebaut. Doch heute leiden die Menschen auf der ganzen Welt vor allem an chronischen Krankheiten, die nicht schnell im Spital behandelt werden können. Chronische Krankheiten begleiten uns den Rest unseres Lebens. Leid und Kosten explodieren. Hier stoßen unsere Systeme an ihre Grenzen. Sie wurden nicht dafür gebaut.

Die wichtigste Herausforderung global und somit auch für Österreich würde ich erstens das Anreizsystem nennen: Das Gesundheitssystem wird mehrheitlich für seinen Input bezahlt - Heads in Beds, Minutes in Clinics, et cetera - und nicht für den Output, also das Ergebnis und Patientenwohl. Systematische Verschwendung und eine nicht optimal ausgeprägte Patientenorientierung sind die Folgen.

Zweitens haben wir eigentlich ein Krankheitssystem und kein Gesundheitssystem. Wir geben heute nur drei Prozent für Prävention aus, 97 Prozent für Reparatur. Wir pflegen unsere Autos besser als unsere Körper. Wir lernen in der Schule mehr über Kartoffelsorten auf der Südhalbkugel, als über Bluthochdruck, Diabetes, Bewegung, Schlaf und Ernährung.

Drittens: Die Digitalisierung hat in der Medizin im Hintergrund schon sehr viel verändert und doch stehen wir erst ganz am Anfang der Entwicklung. Erfolgreiche und staatlich regulierte Systeme tun sich mit Veränderungen schwer, das Gesundheitssystem trifft es hier doppelt. Die öffentliche Hand will vor allem Fehler vermeiden. Doch so funktioniert Innovation nicht. Behörden und andere Interessensvertreter müssen vielmehr „Sandkästen“ unterstützen, in denen wirklich Neues ausprobiert werden kann und die im Erfolgsfall in den Regelbetrieb übernommen werden.

Ebnen die digitalen Möglichkeiten in der Medizin, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, auch den Weg in Richtung faires Gesundheitssystem, indem sie allen Menschen gleichermaßen Zugang zur medizinischen Versorgung zu bieten?

Die digitale Welt hat eine Eigenschaft, die maßgeblich für ihren Siegeszug in nahezu allen Branchen verantwortlich ist: Die Kosten für Produktion und Vertrieb digitaler Produkte und Dienstleistungen sind praktisch Null. Das gilt auch in der Medizin. Ist ein Symptom-Checker oder ein digitaler Therapeut einmal entwickelt, so kann er Millionen Ärzten und Patienten auf der ganzen Welt für sehr geringe Kosten zur Verfügung gestellt werden. Die Qualität orientiert sich zudem stets am aktuellen Goldstandard und variiert nicht.

In Anbetracht der vielen digitalen Technologien und Features fällt es schwer, sich einen Überblick zu verschaffen: Welche Ansätze halten Sie für besonders vielversprechend und zukunftsweisend?

Wir haben das Buch genau darum geschrieben. Wir wollten uns selber einen Überblick verschaffen. Für sehr vielversprechend halte ich die Entwicklungen rund um Do-it-yourself-Medizin, digitale Patienten-Arzt Beziehungen, digitale Therapien und digital unterstützte Medikamentenentwicklung. Die Grundlage dazu ist freilich ein anderer Umgang mit den niedergeschriebenen Krankengeschichten – der Basis für jeden medizinischen Fortschritt.

Welche Rolle könnten digitale Angebote bei der Prävention und Therapie chronischer Erkrankungen, welche in der Akutversorgung spielen?

Sie spielen meist gemeinsam mit einer Ärztin oder einem Arzt aus Fleisch und Blut eine Hauptrolle. Wir sehen digitale Therapien als neue Werkzeuge von Ärzten und Ärztinnen sowie von Therapeutinnen und Therapeuten. Mit ihrer Hilfe können sie alle viel näher am Patienten sein – auch außerhalb der Sprechstunden - und können trotzdem viel mehr Patientinnen und Patienten gleichzeitig betreuen. Die guten digitalen Angebote, die ich kenne, ersetzen die Ärztin nicht - sie machen sie besser.

Inwiefern verändert Digitalisierung Ansprüche und Haltungen von Patientinnen und Patienten?

Wir haben gelernt, dass sich die Mehrheit der Patientinnen und Patienten vor und nach dem Arztbesuch via Internet informiert. Je nach Charakter des Patienten kann dies für Ärzte sehr anstrengend sein, weil sie die Argumente der Patienten nachvollziehen müssen, fehlgeleitete Patienten wieder auf den richtigen Pfad zurückführen müssen und neu auch sogenannte Cyberchonder behandeln müssen. Der wesentliche Punkt ist jedoch: Das Internet macht Patienten selbstbestimmter. Es gibt ihnen die Möglichkeit, eine aktivere Rolle einzunehmen, zu der ein neues Maß an Eigenverantwortung zählt.

Welche Rolle kann und soll ein Gesundheitsversicherer im Gesundheitssystem von morgen spielen, welche Aufgaben erfüllen?

Ein Gesundheitsversicherer ist dem Patientenwohl verpflichtet. Er kann alle digitalen Tools, die Kunden und Patienten Nutzen stiften – vom Symptomchecker bis zur Vermittlung von Pflegekräften – erstellen oder bündeln und möglichst niederschwellig und leistbar zur Verfügung stellen. Er kann zu Medical literacy und Prävention in der Breite beitragen und auf die Anreizsysteme im Gesundheitssystem Einfluss nehmen.

UNIQA will Inspiring Coach für Kundinnen und Kunden sein: Inwiefern passt der Ansatz zu den Anforderungen bzw. Möglichkeiten von Digital Health?

Perfekt. Gute Digital Health-Anwendungen stehen nie für sich alleine da. Vielmehr vergrößern sie stets das Wirkungsfeld von Ärzten, Therapeuten, Apothekern – und eben auch von weltlichen Schutzengeln oder Inspiring Coaches in Form von Versicherungen.

Ihr Buch beinhaltet den Anspruch, das Gesundheitssystem völlig neu zu denken: Was ist das wichtigste beziehungsweise das vorläufige Fazit?

buchcover

Elgar Fleisch u.a.: "Die digitale Pille"

Erhältlich online und in fast allen größeren Buchhandlungen.

Erstens, wir stehen erst ganz am Anfang. Und zweitens: Den meisten ist heute nicht klar, wie wichtig anonymisierte digitalisierte Krankengeschichten für die Weiterentwicklung einer wirkungsvollen und leistbaren Medizin sind – von der ich selber, aber auch meine Kinder und Enkel profitieren. Wann immer wir ein Medikament einnehmen, nutzen wir solche Daten, die andere Patienten innerhalb und außerhalb von klinischen Studien generiert haben und bereit waren, sie anonym zu teilen. Daten spenden ist das neue Blut spenden.

Dr. Elgar Fleisch ist Professor für Informations- und Technologiemanagement an der ETH Zürich und der Universität St. Gallen. Der gebürtige Österreicher ist Mitinitiator des wissenschaftlichen Center for Digital Health Interventions und Mitgründer mehrerer Start-ups.


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