Nein! Grenzen setzen und sich selbst finden.

Warum fällt es uns oft schwer, Nein zu sagen und Grenzen abzustecken? Psychotherapeutin Julia Belke erklärt, wie man lernt, die eigenen Bedürfnisse selbstbewusster zu artikulieren.

Mitunter ist das Leben schwammig. Man sagt „Ja“, weil man niemanden vor den Kopf stoßen will, meint aber „Nein“. Man verzettelt sich mit dem eigenen Perfektionismus – anstatt irgendwann einfach zu beschließen: „Schluss, aus! Ich lass das jetzt so.“ 

Die eigenen Grenzen respektieren

In vielen Bereichen des Lebens ist Grenzen setzen gefragt. Dabei geht’s nicht nur darum, jemandem eine Bitte abzuschlagen oder eine Sache abzublasen, weil man sie vielleicht zeitlich nicht schafft. Es geht genauso um das Respektieren der eigenen Grenzen. Denn ignoriert man, was einem guttut – nach innen und nach außen – können sich schnell Erschöpfung, Müdigkeit, Anspannung, Resignation oder Wut einstellen. „Grenzverletzungen – auch solche, die unbewusst passieren – äußern sich oft in Körpersignalen“, erklärt Psychotherapeutin Julia Belke. „Es kann sich zum Beispiel Aggression aufstauen. Das kostet Energie, man fühlt sich irgendwann ausgebrannt.“  

Die Expertin erklärt, wie man eine gesunde Barriere aufbaut – und welche Schritte einem dabei helfen können.

1. Was sind meine Bedürfnisse?

„Es ist wichtig, in sich hinein zu spüren und zu erkennen: Was will ich wirklich?“, so Belke. „Brauche ich wirklich diese große Wohnung, diesen Urlaub den nächsten Karriereschritt oder vermische ich da vielleicht etwas mit den Erwartungen anderer? Grenzen setzen hat ja auch immer etwas mit Abhängigkeit zu tun, nicht nur von anderen Menschen, sondern auch von Dingen. Indem man sich darüber klar wird, was für einen selbst wichtig und wertvoll ist, wird man unabhängiger und freier. Man kann so schneller zu etwas Nein sagen, was nicht hundertprozentig passt – und Ja sagen zu den essenziellen Dingen.“  

2. Wo übertrete ich meine persönlichen Grenzen?

„Bevor man sich dem Thema ‚Wie sage ich Nein zu anderen?‘ widmet, sollte man zuallererst schauen: Wo ignoriere ich meine eigenen Grenzen? Wo passe ich mich mehr an, als mir guttut?“, führt Belke weiter aus. „Habe ich irgendwo zu hohe Erwartungen an mich selbst? Wo identifiziere ich mich zu sehr mit meinem Beruf? Wo und wann suche ich unbewusst nach Anerkennung? Wo überschätze ich vielleicht meine eigenen Kapazitäten?“

3. Welche Glaubenssätze halten mich klein?

Wenn wir uns nicht trauen, Grenzen zu ziehen, steckt oft Angst vor Ablehnung oder vor Bindungsverlust dahinter. „Es gibt fünf Glaubenssätze, die uns oft blockieren – und die uns mitunter schon seit der Kindheit begleiten“, sagt die Psychotherapeutin.

  • Ich bin nicht liebenswert.
  • Ich bin nicht willkommen.
  • Ich bekomme nicht das, was ich brauche.
  • Ich vertraue niemandem.
  • Ich stelle meine Bedürfnisse zurück.

Wie sich diese inneren Überzeugungen auflösen lassen? „Das braucht Zeit, dann dahinter stehen immer Traumata und unverarbeiteter Stress, der nachverarbeitet werden kann“, erklärt Belke. „Mit einer therapeutischen Begleitung kann geklärt werden: Was war der Auslöser? Warum glaube ich das? Und wie kann ich zu dieser Urerfahrung eine gesunde Distanz aufbauen, quasi eine Grenze?“

4. Respektiere ich die Grenzen anderer? (Ehrlich sein!)

„Grenzen setzen, Grenzen achten – das geht ineinander über“, sagt die Expertin. „Jemand, der seine eigenen Grenzen nicht spürt, spürt auch die Grenzen der anderen nicht – und mischt sich zum Beispiel zu sehr in das Leben anderer ein. Das passiert mitunter bei Menschen, die nach Anerkennung streben und sich mehr anpassen, als sie eigentlich wollen. Sie übertreten permanent ihre eigene Grenze – und folglich auch die von anderen. Sie entwickeln eine Art Helfersyndrom, agieren vermeintlich selbstlos – wobei im Wort ‚selbstlos‘ schon steckt, dass man losgelöst von sich selbst ist, und das ist nie gut – und fühlen sich am Ende oft ausgenutzt und nicht wertgeschätzt.“ Ob man mit den Grenzen anderer respektvoll umgeht, kann jeder leicht selbst hinterfragen: Respektiere ich die Bedürfnisse des anderen? Kann ich mit einem „Nein“ gelassen umgehen, oder bin ich dann gekränkt, wütend, flippe ich aus – und wenn ja, was könnte der Grund dafür sein?

5. Nein sagen üben.

Hat man die obigen Punkte geklärt, geht’s darum, die eigenen Grenzen zurückzuerobern. „Man kann zum Beispiel mit Menschen üben, mit denen man sich sicher fühlt und von denen man weiß: Auch wenn ich übers Ziel hinausschieße, sie werden mir weiterhin wohlgesinnt sein.“ Zum Beispiel: „Ich möchte heute lieber nicht weggehen, sondern ein Buch lesen“ oder: „Ich will lieber was anderes machen“. Und dann schaut man: Wo gibt es diese Fallstricke? Was hindert mich, zu mir selbst zu stehen? Wo taucht bei mir Angst oder ein Schuldgefühl auf – und welches Glaubensmuster könnte dahinterstecken?

(c) Julia Belke_Farbraum Wien

Zur Person:

Dr. Julia Belke ist Psychotherapeutin und Coach mit eigener Praxis in Wien. Ihr Fokus liegt darauf, emotionale Verletzungen zu heilen und traumatischen Stress zu bewältigen, um wieder mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Sie sagt: „Zufriedenheit beginnt, wenn man wirklich ehrlich zu sich selbst ist.“ Belke bietet auch Videosprechstunden an. 

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