Übergewicht: Auswirkungen auf das Gehirn 

Übergewicht ist im wahrsten Sinne des Wortes ein vielschichtiges Problem mit komplexen Auswirkungen – sogar auf das Gehirn.

Eine Frau steht in der Küche und greift sich auf den Kopf
(c) Adobe Stock | kues1

Haben Sie im Lockdown zugenommen? Damit sind Sie nicht allein: Der Mediziner Christian Lackinger, Leiter der Unit Lifestyle und Prevention an der MedUni Wien, hat festgestellt, dass die Wienerinnen und Wiener durch die Kombination aus Lockdown und Homeoffice im Durchschnitt 1,2 Kilogramm pro Monat an Gewicht zugelegt haben. Rechnet man dies hoch auf die Zeit, die Österreich bis dato im Lockdown war, ergibt sich eine Gewichtszunahme von mehr als vier 4 Kilogramm pro Person. Und geht man weiter davon aus, dass 40% der Wienerinnen und Wiener zumindest teilweise von daheim aus gearbeitet haben, ergeben sich 3 Millionen Kilogramm „Coronaspeck“, was dem Gewicht von 30 Blauwalen entspricht. 

Nun könnte man sagen: Na und, dann sind wir in Zukunft halt „glückliche G’füllte“, wären da nicht die massiven Auswirkungen auf die individuelle Gesundheit sowie auf das Gesundheitssystem als Ganzes, das Übergewicht mit sich bringt. 

Übergewichtig oder Adipositas?

Einer der Parameter dafür ist der Body-Mass-Index (BMI). Er sagt aus, in welchem Verhältnis Körpergewicht zu Körpergröße stehen und wird berechnet, indem man das Gewicht (in kg) durch die Körpergröße zum Quadrat (in cm) teilt. „Bei einem BMI-Wert ab 25 spricht man von Übergewicht, ab einem BMI-Wert von 30 von Adipositas (starkes Übergewicht mit krankhaft erhöhten Körperfettanteil), wobei diese in 5er-Schritten in Adipositas I, II und III eingeteilt wird“, erklärt Public Health Expertin Barbara Fisa. „Allerdings ist der BMI kein verlässlicher Indikator, denn er gibt keine Auskunft über die Körperzusammensetzung, was zum Beispiel bedeutet, dass ein perfekt austrainierter Bodybuilder laut BMI massiv übergewichtig wäre“, fügt sie hinzu. 

Fett ist nicht gleich Fett

Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Arten von Körperfett:

  • Das gute Fett: Die subkutane Fettschicht liegt unter der Haut, speichert Energie und schützt vor Kälte.
  • Das schädliche Fett: Das viszerale Fett umschließt Bauchorgane wie Leber oder Darm. Es produziert Botenstoffe, die Entzündungen fördern und das metabolische Syndrom (Bluthochdruck, Insulinresistenz und in Folge Diabetes Typ II) auslösen können.


Ob man zu viel davon von dem viszeralen Fett hat, verrät der Taille-Hüfte-Quotient. Er wird berechnet, indem der Taillenumfang durch den Hüftumfang dividiert wird (beides in cm). Liegt er bei Frauen unter 0,85 und bei Männern unter 1,0, ist man normalgewichtig. Barbara Fisa: „Es gibt aber auch die Faustregel: Frauen sollten weniger als 88cm Taillenumfang haben, und Männer weniger als 102cm. Wer darüber liegt, ist übergewichtig. Kritisch ist es, wenn man in die Kategorie TOFI (= Thin Outside Fat Inside) fällt. Solche Menschen wirken schlank und die Waage zeigt Normalgewicht, doch das Fett ist im Bauchraum versteckt. Ob man in diese Kategorie fällt, kann man leider mittels Formel nicht berechnen, hier braucht es spezielle Messgeräte, die den Muskel-, Fett- und Wasser-Anteil im Körper bestimmen.“

Adipositas erhöht Demenzrisiko 

Neben den bekannten Folgen von Stoffwechselstörungen (Stichwort metabolisches Syndrom) oder Probleme mit dem Stützapparat kann Übergewicht Auswirkungen auf die Gehirnleistung haben, weil es auch im Gehirn Entzündungen auslösen kann. Diese bauen den Myelin-Mantel (die Ummantelung der Nerven an den Zellfortsätzen) ab und die weiße Substanz (d.h. die Leitungsbahnen) wird dünner. Dadurch kommt es zu „Kommunikationsproblemen“ im Gehirn und infolgedessen zu einer Einschränkung der kognitiven und motorischen Funktionen.

Je größer das Übergewicht, desto größer ist das Risiko für solche Prozesse, die dem Nachlassen der Gehirnleistung ähneln, die auch im Alter stattfindet. „Prinzipiell nimmt die Wirkung der Adipositas auf das Gehirn solche typischen Alterserscheinungen vorweg. Das lässt annehmen, dass mit zunehmender Wirkung beider Prozesse, – Alterung- und Entzündungsprozess, – die Weiterleitung der Nervensignale umso mehr in Mitleidenschaft gezogen wird“, bestätigt Barbara Fisa.

Aktuelle Studien dazu stammen aus der Amen Klinik in Kalifornien, wo 2018 der Psychiater Daniel Gamen 17.000 Menschen untersuchte. Mittels Gehirnscans konnte er feststellen, dass die Durchblutung ihres Gehirns – und zwar in allen Regionen – niedriger war, je übergewichtiger die Probanden waren. Werden bestimmte Hirnbereiche jedoch nicht mehr genügend durchblutet, kann dies auf Dauer zum Abbau der Hirnsubstanz und zur Beeinträchtigung der Funktionalität führen. Besonders deutlich war die Durchblutungsstörung bei Hirnarealen, die als anfällig für Alzheimer gelten, und die Studie könnte damit den Beweis liefern, warum Menschen mit Adipositas im Alter ein 30 Prozent höheres Risiko haben, an Demenz zu erkranken.

Übergewichtige Kinder lernen schlechter

Während bei Adipositas in höherem Alter das Thema Demenzrisiko im Vordergrund steht, kann sie bei Heranwachsenden noch etliche andere Funktionsstörungen mit sich bringen. So zeigte eine Studie von Prof. Jennifer Laurent an der Universität von Vermont 2017, dass das Gehirn von Kindern mit höherem BMI tendenziell schlechter entwickelt ist und eine dünnere Großhirnrinde besitzt, insbesondere im Bereich des Stirnlappens, dem präfrontalen Kortex. 

Barbara Fisa: „Vor allem im Übergang von Kindheit zur Jugend scheint Übergewicht die Entwicklung des Gehirns zu beeinträchtigen. Die Hauptaufgaben des Präfrontalen Kortex liegen in Planung, Gedächtnis sowie Impulskontrolle, und Defizite in diesen Bereichen lassen sich in allen Altersgruppen von fettleibigen Menschen nachweisen. Ein wichtiger Nebenaspekt ist der Zusammenhang zwischen Fitness, BMI und Schulleistung. Da konnte eine italienische Studie mit fast 900.000 Kindern im Jahr 2009 zeigen, dass die Schulleistung direkt mit der Fitness in Zusammenhang steht.“

Ein ungenügend ausgebildeter präfrontaler Kortex beeinflusst überdies die Entscheidungsfindung, und es wird angenommen, dass übergewichtige Kinder infolgedessen ungesunde Ernährungsentscheidungen treffen, was wiederum ihr Übergewicht vergrößert. Ähnlich tritt dieses Gehirn-Dilemma ebenfalls auf, wenn der Hypothalamus betroffen ist. In diesem Gehirnareal befindet sich nämlich unter anderem der Sitz für das Hunger- bzw. Sättigungsgefühl. Ist es durch adipös bedingte Entzündungen beeinträchtigt, hat das zur Folge, dass das Sättigungsgefühl nicht mehr richtig wahrgenommen wird – was das Übergewicht ebenfalls verstärkt.

Also: Eine zu starke Gewichtszunahme kann erhebliche Auswirkungen zur Folge haben. Sollten weitere Lockdowns folgen und die Welt zum Stillstand kommen, ist es deshalb umso wichtiger, in Bewegung zu bleiben und sich abwechslungsreich zu ernähren. Auch wenn Blauwale nette Tiere sind.

Zur Person:
Mag. Barbara Fisa MPH, studierte erst Handelswissenschaften bevor sie ihre Leidenschaft für Interesse für Sport, gesunde Ernährung und Entspannung zum Public Health Studium brachte. Sie versteht sich als Vermittlerin von Wissenschaft und arbeitet an einem System zur Bewegungsförderung für Menschen nach der Pensionierung. Auch ist sie als Beraterin für die Stiftung Motion4Kids tätig, deren Ziel es ist, innovative Projekte zur Bewegungs- und Bildungsförderung von Kindern zu unterstützen. 

Kontakt

Reiseversicherung