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„Wertschätzung ist der wichtigste Motivationsfaktor!“

Aktuell erleben wir eine „Wertschätzungsblockade“, beobachtet der Vorarlberger Psychiater und Bestseller-Autor Reinhard Haller. Gleichzeitig sei die Sehnsucht nach Wertschätzung bei uns allen stark ausgeprägt. Im Interview verrät der Mediziner, was es für ein respektvolles, empathisches Miteinander braucht und wie wir damit Gemeinschaftsgefühl und Motivation stärken.

Mann am Berg

Ihr aktuelles Buch handelt vom „Wunder der Wertschätzung“ - was konkret sind die wichtigsten Zutaten eines wertschätzenden Miteinanders?

Reinhard Haller: Echte Wertschätzung muss drei Dinge beinhalten: Sie muss individuell sein. Sie muss originell sein – ich sollte mich mit der Person, gegenüber der ich Wertschätzung zeige, auseinandergesetzt haben und wissen, was sie mag oder nicht mag. Und sie muss drittens authentisch sein – sie muss vom Herzen kommen. Das Paradoxe: Jeder will wertgeschätzt werden, aber wir tun uns sehr schwer, Wertschätzung weiterzugeben. Die wahrscheinlich häufigste Kränkung überhaupt ist, wenn Menschen sich nicht wertgeschätzt fühlen. Dabei ist Wertschätzung etwas, das jeder Mensch ausdrücken kann. Letztlich geht es immer um positive Resonanz – ob das jetzt Aufmerksamkeit, Beachtung, Respekt oder Vertrauen ist, bis hin zu Liebe.

Diese positive Resonanz hat positive Effekte auf Psyche, Gehirn und die Gesundheit allgemein?

Univ. Prof. Dr. Reinhard Haller
© Petra Rainer










Richtig. Wertschätzung wirkt auf sehr vielen Ebenen, sie entfaltet ihre Wirkung im Kleinen und in der Häufigkeit. Wertschätzung aktiviert unser Belohnungssystem im Gehirn, unser Wohlfühlsystem. Sie stärkt das Selbstvertrauen und gibt Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung einen großen Schub – man wird selbstsicherer. Wird jemand stets wertgeschätzt statt kritisiert, entsteht ein gelassenerer, souveränerer Charakter. Wertschätzung ist der beste Motivationsfaktor, die beste Form des Lobes und wirksamer als so manches Motivationstraining.

Ich vermute, die Effekte treten nicht nur ein, wenn man Wertschätzung durch andere erlebt, sondern auch, wenn man sich anderen und sich selbst gegenüber wertschätzend verhält? 

Das ist absolut richtig. Eine der Grundthesen meines Buches lautet außerdem: Wertschätzen kann nur, wer Selbstwert hat. Jemand anderer, ein Narzisst etwa, kann sich das sozusagen gar nicht leisten und braucht die ganze Wertschätzung für sich selbst. Wertschätzung zeugt also immer davon, dass der wertschätzende Mensch souverän ist, eine gelassene Haltung hat und so viel Vertrauen in sich, dass er auch andere wertschätzen kann. Wertschätzung kommt in den meisten Fällen auch wieder zurück – mit besseren Zinsen als die Banken zahlen. 

Was sind heute die wichtigsten Hürden und Hindernisse in unserer Gesellschaft für einen respektvollen Umgang?

Dass wir in einer Wertschätzungsblockade leben, hängt mit verschiedenen Dingen zusammen. Auf der einen Seite wollen wir alles an den Computer delegieren: Die Arbeit sowieso, das Wissen genauso, die Intelligenz zunehmend und auch die Wertschätzung – wenn wir zum Beispiel Smileys verteilen, anstatt uns persönlich zu bedanken oder uns emotional austauschen. Unsere Emotionalität wird sozusagen digitalisiert. Echte Wertschätzung, die immer mit Empathie zu tun hat, kommt zu kurz.
Und im Umgang mit Emotionen beobachtet man zwei Entwicklungen: Diese werden entweder extrem übertrieben dargestellt – wenn einander in Castingshows zum Beispiel Leute wegen Selbstverständlichkeiten euphorisch um den Hals fallen. Auf der anderen Seite setzen sich viele die Maske der Coolness auf und zeigen wenig Emotion. Das prägt das emotionale Idealbild. Die große Gefahr ist, dass man dabei übersieht, dass hinter der Maske der Coolness kränkbare, sehr wertschätzungsbedürftige Wesen stecken.

Gibt es etwas, das diese Entwicklung einer Wertschätzungsblockade forciert?

Ein Hauptgrund ist, dass die Gesellschaft zunehmend narzisstisch wird. Ein bestimmtes Maß an Narzissmus brauchen wir, sonst wären wir voller Selbstzweifel und könnten uns nicht durchsetzen. Ist der Narzissmus zu stark ausgeprägt, bleibt für die Mitmenschen nicht mehr so viel über. Narzissmus ist auch dadurch gekennzeichnet, dass man andere nicht beachtet, abwertet oder zynisch abkanzelt. Das allgemeine Bedürfnis, diese Wertschätzungsblockade zu lockern, wird maßlos unterschätzt. In Betrieben ist es nicht nur so, dass die Mitarbeitende sich zu wenig wertgeschätzt fühlen, mir sagen sehr oft auch Führungskräfte: Ich kann tun, was ich will, ich höre nie einen Dank, bekomme nie eine Wertschätzung. Das sind Indikatoren, dass die Menschen ein sehr starkes Bedürfnis nach Wertschätzung haben.

Wertschätzung bedeutet also auch, menschlich zu bleiben, Gefühle zu zeigen und aufeinander zugehen zu können. Könnten die zunehmend virtuellen Begegnungen, etwa im Homeoffice, auch auf Kosten gegenseitiger Wertschätzung gehen? Oft wird in virtuellen Terminen der informelle, menschliche Teil stark reduziert oder überhaupt ausgespart.

Das ist vollkommen richtig. Die neuen Technologien bieten viele Möglichkeiten, sie haben aber auch Nachteile. Sie können letztlich alles besser als wir Menschen, aber sie werden niemals empathisch sein können. Stephen Hawking hat einmal gesagt: Das Überleben der Menschheit wird davon abhängen, ob sie die Empathie retten kann.

Um in der Arbeitswelt zu bleiben: Was sind da Verhaltensweisen oder Maßnahmen, um in Unternehmen ein wertschätzendes Miteinander zu fördern?

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Das sind die vielen kleinen Dinge – das Danke zwischendurch, das freundliche Zunicken. Darüber hinaus müssen das Selbstbild und das Fremdbild von Mitarbeitenden – beides ist geprägt von einem Gefühl der Austauschbarkeit – in großen Unternehmen geändert werden. Die zweite Maßnahme sollte sein, dass man alles tut, um Mobbing auszuschalten. Mobbing ist nichts anderes als systematisiertes Kränken und damit der größte Gegenspieler der Wertschätzung. Menschen fühlen sich gemobbt, auch weil sie nie ein Lob, nie eine Anerkennung, nie eine Wertschätzung bekommen.
Drittens müssen wir davon ausgehen, dass, wer auch immer uns begegnet, wertgeschätzt werden will. Es geht dabei nicht um Friede, Freude, Eierkuchen, sondern darum, sensibel zu werden für scheinbar kleine Dinge. Indem man eine Kränkungssensibilität und Wertschätzungsbereitschaft entwickelt, kommt es mittelfristig zu extrem positiven Veränderungen.

Das Betriebsklima verbessert sich, Teamgeist und Gemeinschaftsgefühl wachsen… 

Richtig. Mögliche Auswirkungen sind außerdem: weniger Krankenstände, mehr Freude bei der Arbeit, mehr Kreativität, mehr Produktivität. Das Um und Auf dabei ist, die Macht der Wertschätzung zu erkennen – und zu sehen, dass wir alle über diese Macht verfügen. 

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