Gesundheit anders gedacht – Burnout-Prävention

Teil 3 einer dreiteiligen Serie mit Psychotherapiewissenschafterin Mag. Dr. Dr. Lisbeth Jerich.

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© Adobe Stock | thodonal

Burnout galt bislang „nur“ als Kombination von Symptomen – nämlich tiefer emotionaler, körperlicher und geistiger Erschöpfung aufgrund von beruflichem Stress. Inzwischen hat die WHO Burnout detaillierter beschrieben und als Syndrom definiert: Diese aktualisierte internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) tritt 2022 in Kraft. 

Zum ersten Mal wurde der Begriff Burnout 1974 vom amerikanischen Psychologen Herbert Freudenberger verwendet, der es bei Angestellten einer Klink beschrieb. Die ersten wissenschaftlichen Arbeiten lieferte in Folge die amerikanische Sozialpsychologin Christine Maslach. Sie definierte die Kennzeichen von Burnout als:

  • Emotionale Erschöpfung
  • Verminderte Leistungsfähigkeit und ein Gefühl der Wirkungslosigkeit
  • Negative Haltung und Distanziertheit vom eigenen Beruf

  • Speziell Letzteres sieht Wirtschaftswissenschafterin Lisbeth Jerich als Hauptursache: „Entgegen der Mainstreamforschung definiere ich das Burnout-Konstrukt nicht als Folge von Arbeitsstress, sondern als Ausdruck der Entfremdung – der Entfremdung von der Arbeit, von den Mitmenschen und letztlich von sich selbst.“

    Idealismus bleibt auf der Strecke

Und weiter: „Vor nunmehr 13 Jahren ging ich der Frage nach, wie sich die tiefgreifenden Veränderungen der vergangenen vierzig bis fünfzig Jahre im technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich in den mentalen Strukturen der Menschen niedergeschlagen haben. Dabei habe ich festgestellt, dass insbesondere Arbeitnehmer an einem großen Wertekonflikt leiden. Auf gesellschaftlicher Ebene sind es vor allem narzisstische Werte wie das Streben nach Geld, Macht und Prestige, die den Entfremdungsprozess in Gang setzen. Durch das egoistische Streben, ‚alles haben zu wollen‘ bleiben idealistische und sinnstiftende Werte auf der Strecke. Auf institutioneller Ebene wird das Gefühl der Entfremdung auf einen Wertekonflikt zwischen Organisation und Person, person-organisation misfit, zurückgeführt: Geänderte Wertorientierungen der Arbeitnehmer stehen der sogenannten ‚Shareholder Value-Orientierung‘ der Unternehmen gegenüber.“

Fallstrick Berufswahl

Der Weg Richtung Burnout beginnt allerdings nicht erst im Unternehmen, sondern schon bei der Berufswahl. „Die Entstehung eines Entfremdungsgefühls gegenüber der Arbeit wird oft bereits im Zuge einer fremdbestimmten Bildungs- und Berufswahl, person-vocation misfit, gelegt. Berufliche Entscheidungen werden häufig völlig losgelöst vom eigenen Willen getroffen und orientieren sich lediglich am familiären, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Umfeld. Eine Berufswahl, die zu Wachstum und persönlicher Freiheit führt, besitzt oft keinen Marktwert und wird deshalb nicht unterstützt“, erklärt Lisbeth Jerich.

Wenn zusätzlich die Informations- und Ausbildungsmöglichkeiten beschränkt sind, wird es immer schwerer, einen Beruf zu wählen, der statt bloßem Broterwerb zugleich Berufung ist.

Konkurrenzorientiertes Arbeitsklima

Weitere Ursachen für eine Entfremdung von der Arbeit lassen sich in Folge im Berufsumfeld festmachen, wie Lisbeth Jerich konstatiert: „Der weltwirtschaftliche Wandel hat sich auch im interpersonellen Bereich von Unternehmen bemerkbar gemacht. Das konkurrenzorientierte Arbeitsklima ist häufig durch systematische Schikanen (Mobbing) gekennzeichnet und wird nicht zuletzt durch den hohen Leistungsdruck, den drohenden Arbeitsplatzabbau, Reorganisationsmaßnahmen, flexible Arbeitsgruppengestaltung und durch die Entgrenzung der Arbeitszeit et cetera forciert.“

Die eigene Verantwortung

Gibt es unter solchen Bedingungen überhaupt die Möglichkeit, vorzubeugen oder gehört man „automatisch“ zu den 42 Prozent der Österreicher und Österreicherinnen, die laut einer Repräsentativerhebung aus dem Jahr 2016/17 Burnout-gefährdet bzw. bereits erkrankt sind?

Lisbeth Jerich: „Will man effektiv vorbeugen, muss man auf allen Ebenen der Entstehungsursachen ansetzen und sich essentielle Fragen stellen: Wie wichtig ist mir gesellschaftliche Anerkennung in einer narzisstisch geprägten Kultur? Welchen Preis bin ich bereit, dafür zu bezahlen? Welcher Job passt am besten zu meinen persönlichen Interessen und Fähigkeiten? Welches Unternehmen gewährt mir den größtmöglichen Spielraum bei der Entfaltung meiner fachlichen Kompetenzen und Persönlichkeit? Welches Arbeitsklima herrscht in meinem Unternehmen? Ist es feindselig und angespannt, oder kollegial und vertrauensfördernd? Grundsätzlich sollten Arbeitnehmer selbst Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen. Wie bereits Mahatma Gandhi brillanterweise sagte: Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünscht für diese Welt.“ 

Zur Person
DDr. Lisbeth Jerich ist ehemaliger Tennisprofi, promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin, promovierte Psychotherapiewissenschaftlerin und approbierte Psychotherapeutin mit der Fachausrichtung Verhaltenstherapie. Als Gründerin und Leiterin des Forschungs- und Beratungsinstituts für Salutogenese und gefragte Expertin für psychische Gesundheit setzt sie nicht nur im Bereich der Wissenschaft und Forschung neue Standards, sondern zeigt auch in der praktischen Arbeit mit ihren KlientInnen das Potential psychotherapeutischer Interventionen jenseits der Symptomfreiheit auf. Ihr Arbeitsmotto: „Psychotherapeutin zu sein bedeutet für mich weit mehr als nur Verhaltensstörungen und Leidenszustände zu kurieren. Oberstes Ziel meiner Interventionen ist es, die Seele, den Verstand und das Gemüt meiner KlientInnen sorgfältig auszubilden und sie dabei zu unterstützen, einen gesundheitsbewussten Lebensstil zu entwickeln.“ Zum Weiterlesen bietet sich Lisbeth Jerichs Buch zum Thema an: „Burnout. Ausdruck der Entfremdung. Leykam Universitätsverlag 2007“.

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