Weltraumlift: Drücken Sie Fünf für den Mond

Raketen sind ja sowas von gestern. Der Weltbürger von morgen fährt per Weltraumlift ins All. Das klingt nach Science-Fiction, aber wir zeigen, dass das Konzept weniger abwegig ist, als es klingen mag.

Erde mit Weltraumlift-Simulation
© Adobe Stock | Photobank

Sie würden ja gerne ins Weltall, doch es wirkt Ihnen einfach wie zu viel Aufwand? Wer kann es Ihnen verübeln. Schließlich werden Sie zuhause, das heißt auf der Erde, von autonomen Öffis, smarten Wohnungen und Hochgeschwindigkeit-Vakuumröhren verwöhnt. In eine Rakete steigen und mit Tonnen an brennbarem Treibstoff gegen die Gravitationskraft ankämpfen? Puhh, das klingt nach Arbeit.

Doch keine Sorge, wir haben da etwas für Sie. Was halten Sie davon, in einem Aufzug Richtung ewige Weiten zu fahren? Ganz genau, ein Aufzug. Das, wo Sie sonst so tun, als wenn Sie Stefan von der Buchhaltung nicht bemerken würden. Klingt verrückt, ist es auch ein bisschen, aber eben nicht so sehr wie Sie vielleicht denken.

Weltraumlift: Die unendliche Linie am Horizont

Stellen Sie sich den Weltraumlift folgendermaßen vor: Auf einer Insel, vermutlich mitten im Pazifik, steht eine gigantische Plattform. Von dieser läuft eine hauchdünne Linie bis in den Himmel. Kapseln steigen still und gemächlich an ihr entlang, bis sie nicht mehr erkennbar sind.

Jenseits Ihres Sichtfelds läuft es genauso weiter: Die Kapseln steigen und steigen, bis sie nach rund einer Woche die Güter oder Passagiere in eine geostationäre Umlaufbahn in etwa 36.000 Kilometern Höhe gebracht haben. Dort wartet vermutlich eine Raumstation auf die Mitfahrenden.

Verfolgt man das Seil weiter, landet man bei rund 100.000 Kilometern Höhe bei einer Art Gegengewicht. Dieses befindet sich etwa bei einem Drittel der Distanz zum Mond und hält das Seil durch Fliehkraft stramm.

Gut zu wissen

Ein Objekt, das sich in einer geostationären Umlaufbahn befindet, wirkt von der Erde so, als würde es still stehen. Deswegen „geostationär“.

Ungefähr so fiktiv wie Ihr geliebter Bürolift

Die Idee eines Lifts ins Weltall gibt es schon seit einem Weilchen, doch die längste Zeit nur in den Köpfen von Science-Fiction-Autoren. Erst seit 1991 beschäftigen sich Ingenieure ernsthafter mit dem Thema, denn damals entdeckte ein japanischer Wissenschaftler Kohlenstoffnanoröhrchen.

Gut zu wissen

Der Weltraumlift wurde erstmals vom russischen Weltraumpionier Konstantin Tsiolkovsky im Jahr 1909 vorgeschlagen.


Die Lage beim Weltraumlift ist nämlich folgendermaßen: Er ist physikalisch absolut umsetzbar – uns fehlt nur das Material, um ihn zu realisieren. Etwas, das stark und gleichzeitig leicht genug ist, um das Seil des Lifts zu konstruieren.

Ein Stahlseil, beispielsweise, würde nach nur 30 Kilometern aufgrund seines Eigengewichts brechen. Das reicht leider nicht fürs Weltall (und wer lässt sich schon mit einem Aufzug zum Mount Everest abspeisen?).

Hier kommen Kohlenstoffnanoröhrchen ins Spiel. Sie sind 100-mal stärker als Stahl, aber leichter als Aluminium. Ein Seil aus diesem Material könnte bis zu 144.000 Kilometer ins All reichen, so eine NASA-Studie aus dem Jahr 2000.

Moment mal… Wie bewegt sich eigentlich die Aufzugskabine voran? Anders als bei einem gewöhnlichen Lift, wo sie von den Seilen gezogen wird, würde die Weltraumlift-Kapsel einen eigenen Antrieb benötigen. Das könnte zum Beispiel ein Laser am Boden sein.

Das vermaledeite Kohlenstoffnanoröhrchen

Das einzige Problem: Kabel aus Kohlenstoffnanoröhrchen werden bislang nur bis zu drei Zentimeter lang. Ein kilometerlanges Seil daraus? Das hat es bislang nicht gegeben. Deswegen konzentriert sich die Forschung auch auf die Suche nach einem passenden Material.

Ein eigenes Budget hat der Weltraumlift allerdings quasi nie. Dafür ist das Konzept doch noch zu fern. Selbst ernstgemeinte Zeitangaben gibt es kaum. Die International Academy of Astronautics schätzt, dass Kohlenstoffnanoröhrchen in „mindestens 20 Jahren“ soweit sein könnten. Das japanische Bauunternehmen Obayashi hat selbstbewusst 2050 als Ziel für einen Weltraumlift verkündet.

Machbarkeit: Der Diskussionsbedarf bleibt

Und einige Forscher zweifeln ganz grundsätzlich an der Machbarkeit. Felix Huber, Direktor des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, sieht ungelöste Fragen bei ungewollten Schwingungen des Seils, Abnutzung durch UV-Strahlung und Kollisionen durch Weltraumschrott.

Gut zu wissen

Weltraumschrott ist die Bezeichnung für ausgediente Satelliten oder anderen „Müll“, der im Orbit kreist.


Selbst der ambitionierte US-Unternehmer Elon Musk, der bis 2024 Menschen auf den Mars bringen will, mahnt beim Weltraumlift zur Ruhe: „Bitte fragt mich nicht nach dem Weltraumaufzug, bevor jemand eine Struktur aus Kohlenstoffnanoröhrchen baut, die länger als eine Fußgängerbrücke ist.“, so Musk 2015 auf Twitter.

Andere Experten, wie Markus Landgraf von der Europäischen Weltraumagentur ESA, halten diese Probleme hingegen für lösbar – oft bereits mit heutigen Mitteln. Die Herausforderung, bei der sich alle einig sind, ist die Materialfrage.

Gut zu wissen

Ein japanisches Forscherteam probierte 2018 eine Art Mini-Weltraumlift (STARS-ME) aus: Zwei kleine „CubeSat“-Satelliten wurden per 14 Meter langem Kevlarseil verbunden. Daran glitt dann ein winziger Roboter entlang – ein Weltraumlift im Streichholzschachtelformat.

Ein Lift in eine neue Ära

Doch wozu eigentlich das Ganze? Der Lift – von Plattform bis Gegengewicht – wäre nicht günstig zu bauen. Doch danach beginnt die Ersparnis: Derzeit kostet es ca. 22.000 US-Dollar, ein Kilogramm ins All zu befördern. Mit einem Weltraumlift wären es nur 200 Dollar.

Gut zu wissen

Raketen sind teuer. Sie benötigen viel Treibstoff, um das Gewicht von Rakete und Beladung aus der Atmosphäre herauszuschießen. Außerdem brauchen Sie extra Treibstoff, um das zusätzliche Gewicht des Treibstoffs zu handhaben. Und extra Treibstoff für das Gewicht des zusätzlichen Treibstoffs und so weiter.


Was für Sie lediglich nach dem sinnlichen Traum eines Weltraumfirma-Buchhalters klingen mag, hätte kolossale Folgen für die Menschheit. Die Erkundung des Weltalls? Einfacher. Interplanetare Reisen? Günstiger. Hotels im All? Bergwerke auf Asteroiden? Solarkraftwerke jenseits der Atmosphäre? Der Lift hat Potenzial.  Da wollen wir doch mal sehen, wie Sie sich darüber beschweren, dass die Tür schneller schließen könnte.

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