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Im Leben jedes Menschen gibt es Situationen des Verlustes. Doch wie kann man trauernden Menschen in ihrem Schmerz beistehen?

frau umarmt mann
© Adobe Stock | Drazen

Es gibt nur noch wenige Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Trauer ist eines davon. Vielleicht sogar das größte. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Trauer einen wunden Punkt in jedem von uns berührt. Speziell die Trauer beim Tod eines lieben Menschen ist etwas, das jeden betrifft und von dem niemand verschont bleibt. Trotzdem fällt es uns im Allgemeinen sehr schwer, einem Trauernden beizustehen. Oft sind wir mit der Situation überfordert und wissen nicht, mit welchen Worten wir trösten oder wie wir unterstützen können.

„Der Trauerprozess ist immer individuell. Jeder Trauernde hat neben seinen eigenen Bedürfnissen auch sein eigenes Tempo beim Durchleben der verschiedenen Phasen. Diese Phasen von Schock, Nicht-Wahrhaben-Wollen, Wut bis hin zu Annahme kommen und gehen oder wechseln sich ab. Es gibt keinen Fahrplan und keine Checkliste, und deswegen ist es auch für Außenstehende häufig schwer, damit umzugehen“, erklärt Doris Weiß, die als professionelle Trauerbegleiterin Menschen in Lebenskrisen zur Seite steht.

Mitgefühl statt Mitleid

Die Trauer um einen Verstorbenen ist vermutlich die massivste Form des Schmerzes, aber auch Scheidung, Jobverlust oder der Auszug eines Kindes können Trauer verursachen, generell also alles, was mit Abschied und Loslassen verbunden ist. Doris Weiß: „Das Wichtigste, was ein Trauernder in seinem Schmerz braucht, ist jemand, der da und präsent ist und mit ihm den Schmerz mit-aushält und die Situation mit-durchsteht. Doch gerade das ist besonders schwierig für Außenstehende. Wir sind gesellschaftlich so geprägt, dass wir Probleme immer lösen wollen oder schmerzhafte Situationen für jemanden wieder gut machen wollen. Doch genau das ist in einer Verlustsituation unmöglich.“

Ähnlich verhält es sich auf emotionaler Ebene. Statt Mitleid ist Mitgefühl dem Trauernden gegenüber angebracht. Denn: Mitleid ist das Mit-leiden mit einem Menschen und man begibt sich somit auf die gleiche hilflose Ebene. Bei Mitgefühl hingegen kann man nachempfinden und verstehen, wie es dem anderen geht. Dadurch werden Hilfe und Unterstützung möglich. Die Anteilnahme kann sich auf viele Arten ausdrücken, die genauso wichtig oder manchmal sogar wichtiger sind als mitfühlende Worte. Etwa jemanden zu Ämtern oder zu Besorgungen zu begleiten, für ihn zu kochen oder andere liebevolle Gesten, die zeigen, dass man mit dem Anderen fühlt.

Authentizität und Ehrlichkeit

Doris Weiß: „Trauern ist eine natürliche, schmerzvolle – wenn auch vorrübergehende – Reaktion auf einen Verlust. Daher braucht Trauer Zeit, Raum und Platz, um die Not und den Schmerz zum Ausdruck bringen zu können. Von außen lässt sich oft nicht erkennen, wo der Andere gerade in seinem Trauerprozess steht. Daher ist es wichtig, Dinge ehrlich anzusprechen und zu fragen Wie geht es dir? oder Was brauchst du? Ebenso kann man die eigene Hilflosigkeit thematisieren und sagen Es macht mich sprachlos, was Dir gerade passiert ist, mir fehlen die Worte. Damit kann sich der Andere verstanden fühlen. Wichtig ist einfach, authentisch, ehrlich und mit-fühlend zu bleiben.“

Gut gemeint ist nicht dasselbe wie gut

Unterstützend wirkt auch, dem Trauernden Angebote zu machen, so dass er sich entscheiden kann, was er annehmen möchte. Ihm ungefragt Hilfe überzustülpen, ist dagegen ebenso fehl am Platz wie Beurteilungen oder Bewertungen mit Sätzen wie Dein Ex-Mann ist es nicht wert, dass Du ihm nachweinst oder Ja, ich weiß, wie das ist. Auch wenn letzteres Mitgefühl und Empathie signalisieren soll, schwingt doch eine Spur Bevormundung mit, weil Trauer immer individuell ist und niemand denselben Schmerz wie ein anderer Mensch empfinden kann. Solche Ausdrücke sind in den meisten Fällen zwar gut gemeint, aber gut gemeint ist eben nicht dasselbe wie gut.

Lebensnotwendige Trauer

„Unsere Zeit ist schnelllebig, alles muss rasch wieder funktionsfähig sein. Doch Trauer hat ihre eigenen Gesetze und ihren eigenen Rhythmus. Bei einem Todesfall ist die Anteilnahme zu Beginn sehr groß, nimmt dann aber häufig rasch ab. Allerdings kommt die Trauer in vielen Fällen oft erst nach zwei bis drei Monaten richtig raus, und speziell an Erinnerungstagen wie dem ersten Todestag oder Festtagen wie Muttertag oder Weihnachten ist der Verlust wieder besonders präsent. Da wirkt es enorm unterstützend, wenn man speziell zu solchen Zeiten wieder Kontakt zu einem Trauernden aufnimmt. Das Umfeld eines Trauernden geht ja wieder zur Normalität über, aber beim Trauernden selbst bleibt der Verlustschmerz“, sagt Doris Weiß und hat noch ein tröstendes Zitat zum Abschluss: „Der griechische Psychotherapeut Jorgos Canacakis hat sehr gut ausgedrückt, dass Trauer nicht nur dunkel, sondern auch immens wichtig ist. Er schrieb: Trauer ist ein Geschenk der Evolution an jeden von uns, um mit dem stetigen „Werden“ und „Vergehen“ umgehen zu können. Diese Fähigkeit muss entwickelt und der Umgang mit ihr geübt werden – dann wächst daraus Sicherheit bei Veränderungen und Lebendigkeit für Körper, Geist und Seele.“ 

Zur Person: 
Mag. Doris Weiß ist Mediatorin, Coach und Supervisorin. Durch ihre Hospizausbildung sowie ihre Ausbildung in Trauerbegleitung hat sie sich auf die Begleitung von Menschen in Lebenskrisen spezialisiert. 

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